Versonnen blickt Aureliano „numero 8“ Adami vom Fenster seiner luxuriösen Wohnung auf den Küstenstreifen Ostias. Der Jung-Chef eines Mafiaclans hat in den letzten Wochen hart gearbeitet. Unzählige Leute mussten eingeschüchtert, unzählige Badehüten an den Stränden niedergebrannt werden. Bald soll in seinem Herrschaftsgebiet eines der größten Bauprojekte der kommenden Jahre aus dem Boden gestampft werden – eine Waterfront: Wohnbauten, Shoppingcenter, ein Kasino und dazwischen jede Menge Kirchen. Eine Geldquelle unermesslichen Ausmaßes – zumindest für alle, die es geschafft haben rechtzeitig ins Boot zu springen. Doch wie es im Leben so spielt: zu viele möchten groß absahnen und so steuert das ehrgeizige Immobilien-Projekt letztendlich trotz vielversprechender Anfänge mit all seinen Beteiligten (diverse Mafiosi, korrupte Politiker und „ehrenwerte“ Vertreter der Kirche) unaufhaltsam dem Untergang entgegen.
Ein Untergang, den Regisseur Stefano Sollima als bildgewaltige siebentägige Antithese zum Schöpfungsakt inszeniert; als einen Abwärtsstrudel, bestehend aus einer Kette von Ereignissen, an deren Anfang der Tod einer minderjährigen Prostituierten steht – zu Tode gekommen in einer Sexorgie des Abgeordneten der amtierenden Mitte-Rechts-Regierung Filippo Malgradi (fantastisch widerwärtig: Pierfranceso Favino). Als typischer Vertreter der Ehefrau/Kinder/Huren-Mentalität mit Liebe zum Kokain ist Malgradi nicht das erste Mal auf ausschweifenden Abwegen. Von der Idee die Polizei zu alarmieren hält er naturgemäß wenig und so schleicht er sich aus dem Hotelzimmer, die Lösung des Problems seiner Lieblingshure Sabrina, ebenfalls bei den Sexspielchen beteiligt, überlassend. Doch der von Sabrina mit der Wegschaffung der Leiche beauftragte Laufbursche Spadino wird bald sein neues Problem werden. Der junge Mann, der für den Anführer eines Zigeuner-Clans arbeitet, verspürt einen starken Drang zum Aufstieg und erpresst den Abgeordneten auf eigene Faust. Malgradi bittet daraufhin bei seinen Freunden von der Mafia um die Lösung des Problems. Aus der geplanten Einschüchterungsaktion, die numero 8 übernimmt, wird ein Mord, aus dem Mord ein Bandenkrieg.
Bald scheint das Bauprojekt zunehmend auf wackeligen Füßen zu stehen. Da kann auch der von einem im „Häfn“ befindlichen Mafiaboss als „Leiter“ des Bauprojekts eingesetzte Samurei – ein skrupelloser Neo-Faschist mit besten Verbindungen – nur mehr schwerlich Ordnung schaffen.
In Film und Buch nimmt Samurei als eine Art König der Straße eine bedeutende Rolle ein. Anders sieht es mit dessen Widerpart, dem Polizisten Marco Malatesta, aus. Während Malatesta im Roman von Carlo Bonini und Giancarlo de Cataldo, auf dem der Film basiert, zu den interessantesten Charakteren zählt, ist dessen Rolle in der Filmversion des Stoffes quasi nicht existent. Eine interessante, und am Ergebnis bemessen, jedoch richtige Entscheidung von Regisseur Sollima, der mit beiden Romanautoren in der Vergangenheit bereits Projekte verwirklichte. (u.a. die Verfilmung von de Cataldos „Romanzo criminale“ und „ACAB. All Cops are Bastards“ aus der Feder von Bonini.)
Bezeichnend für die Arbeit – und den Erfolg – der drei auf dem Gebiet der Mafia bestens geschulten Künstler (Bonini arbeitet als investigativer Journalist und de Cataldo ist Richter) ist ihr unsentimentaler von jeglichem Pathos à la „Der Pate“ und diversen weiteren amerikanischen Produktionen zum Thema befreiter Zugang. In „Suburra“ unterliegen die Verbrecher keinerlei ehrhaften Codici – ihr Streben ist alleine auf den Gewinn von Geld und Macht gerichtet. Wer dem Höhenrausch im Weg steht, wird ausgeschaltet. Wer einen beleidigt, bekommt Zorn zu spüren. Größenwahn, gekränkter Stolz und Geldgier erscheinen letztendlich als einzige Motive im Spiel jeder gegen jeden. Das macht Sollima mit „Suburra“ – der Titel bezieht sich übrigens auf ein heruntergekommenes Stadtviertel in der Antike, in dem einst auch Julius Cäsar Ränke geschmiedet haben soll – eindeutig klar. Schade ist allerdings, dass im Gegensatz zum Buch, aufgrund des Fokus auf die Welt der Mafia und Politiker die Beziehungen der selbigen zu Polizei und Medien etwas zu kurz kommen. Auch die Skizzierung der linken Intelligenzija fällt weg. Allerdings gibt es für Fans des Bestsellers und/oder seiner filmischen Adaption bald die Möglichkeit dieses Defizit ausgeglichen zu sehen. „Suburra“ soll noch 2017 als erste italienische Eigenproduktion von Netflix in Serie gehen.
Suburra. Ein Film von Stefano Sollima. Italien/Frankreich 2015. 130 Minuten.
Mit Pierfrancesco Favino, Elio Germano, Claudio Amendola, Alessandro Borghi, Greta Scarano, Giulia Elettra Gorietti, Antonello Fassari, Jean-Hugues Anglade, Adamo Dionisi uvm.
Kinostart: 3. Februar 2017
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